Nachhaltigkeit und Elektronik – (Wie) geht das?

Am 07.03.2023 fand die erste Fachtagung des BMBF „Green ICT 2023 – nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnologien“ im Online-Format statt. 254 Teilnehmende erlebten Keynotes und eine angeregte Podiumsdiskussion, die Vorstellung des Kompetenzzentrums Green ICT sowie Pitchvorträge von 29 Forschungsprojekten, die auf dem Themenfeld aktiv sind.

Zur Eröffnung erläuterte der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Mario Brandenburg, in einem Videogrußwort die BMBF-Initiative Green ICT und ihre Nachhaltigkeitspotenziale mit Fokus auf energie- und ressourcensparsame Informations- und Kommunikationstechnologien.

Monitor mit Umweltzeichen
© onephoto - AdobeStock

HERAUSFORDERUNG NACHHALTIGKEIT & DIGITALISIERUNG

Am Veranstaltungsvormittag wurden verschiedene Dimensionen von Nachhaltigkeit und Digitalisierung – wirtschaftlich, ökologisch, sozial – für die Elektronikforschung und die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) beleuchtet. Dabei wurden Schwierigkeiten und Herausforderungen benannt und mögliche Lösungen aufgezeigt. Der starke interdisziplinäre Charakter des Themas spiegelte sich in den Keynotes und der Podiumsdiskussion.

So machte Frau Prof. Jäger-Erben (BTU Cottbus-Senftenberg & Fraunhofer IZM) als Psychologin in einer Keynote klar, wie wichtig die Konsumperspektive für nachhaltige Elektronik ist. Der Nutzen für Anwender sollte im Vordergrund stehen und Elektronik gezielt dort eingesetzt werden, wo sie einen tatsächlich bestehenden Bedarf sinnvoll bedienen kann. Mehr Transparenz und Beteiligung der Anwender entlang des gesamten Produktlebenszyklus kann erhebliche Potenziale für mehr Nachhaltigkeit eröffnen. So ließen sich über offene und modulare Architekturen, Open Source Software und Design für Reparierbarkeit langlebigere Produkte mit besserer Alltagstauglichkeit herstellen.

Herr Dr. Grobe (ADVA Optical Networking SE) motivierte den Bedarf für Green ICT im Bereich der IKT Infrastrukturen. Da die Energieeffizienz der Mikroelektronik und optischen Wandler nicht mehr in der selben Geschwindigkeit ansteigt wie das Datenvolumen, ist ein stark zunehmender Energieverbrauch die Folge. Diese Tendenz gelte es, einerseits mit technologischen Innovationen aufzuhalten, um die Einsparpotenziale durch Digitalisierung von Anwendungen („Greening-by-ICT“) nicht zu konterkarieren. Andererseits müssten auch „nicht-technische“ Innovationen angegangen werden, etwa um Rebound-Effekte einzudämmen.

Dr. Sebastian Quednau stellte anschaulich vor, wie sein Start-up Nanowired GmbH mit innovativen Herstellungsprozessen nachhaltige Elektronik ermöglicht. Weniger Prozessschritte, der Verzicht auf hohe Temperaturen und als toxisch gelistete Chemikalien und Schwermetalle sowie die konsequente Aufbereitung und Wiederverwendung von Prozesschemikalien sind vielversprechende Ansätze. Ebenso wichtig ist es, bereits bei der Herstellung eine bessere Reparierbarkeit und Rezyklierbarkeit mitzudenken. Herr Quednau betonte jedoch auch die enormen Herausforderungen, innovative und nachhaltige Prozesse in die Breite zu überführen, da diese gegen etablierte und eingefahrene Industrieprozesse konkurrieren.

Anhand von Beispielen für kritische Materialien (Kupfer, Kobalt, seltene Erden) beleuchteten Herr Beschke (fairlötet e.V.) und Herr Grobe das große Potenzial, wie durch mehr Recycling, Kreislaufwirtschaft und Lieferkettentransparenz ökologische Nachhaltigkeit mit sozialen Verbesserungen und der Stärkung der Menschenrechte Hand in Hand gehen können. Gleichzeitig ließe sich damit durch weniger Abhängigkeiten im Rohstoffbereich die technologische Souveränität Europas stärken.

Frau Köhn (Umweltbundesamt) erläuterte sehr anschaulich die Schwierigkeiten in der Bewertung und Dokumentation der Umweltverträglichkeit von Rechenzentren. Die derzeit dafür herangezogenen Kennzahlen seien nicht ausreichend transparent, sodass es den Anwendern oftmals nicht möglich ist, sich gezielt für die Nutzung eines nachhaltigen Rechenzentrums zu entscheiden. Teilweise sei darüber hinaus die Serverkapazität in bestehenden Rechenzentren deutlich zu groß gegenüber dem tatsächlichen Bedarf ausgelegt. Dies führe dazu, dass der hohe Ressourcenverbrauch für die Herstellung der Server nicht sinnvoll genutzt werde, wir also bildlich gesprochen „mit dem Ferrari zum Brötchenholen“ führen.

ANSÄTZE FÜR TRANSFORMATIONSPROZESSE

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Beteiligung des BMBF (Frau Rüther, Unterabteilungsleiterin „Technologieorientierte Forschung für Innovationen“) wurden mögliche Handlungsfelder Grüner IKT diskutiert, auch um Ökologie und Menschenrechte stärker in den Strategien von IKT-Unternehmen zu verankern. Einigkeit herrschte unter den Diskutanten, dass Preissignale ein wirksames Mittel sind. Idealerweise würden Umweltfolgekosten in Produktpreise integriert und dem Nutzer die Möglichkeit gegeben, die Lieferkette transparent nachvollziehen zu können. Eine Voraussetzung hierfür ist die Erfassung von Ökobilanzen für möglichst viele Produktklassen bzw. deren Berücksichtigung in der Ökodesign-Richtlinie. Ökologie und Menschenrechte gehen dabei oftmals miteinander einher: „Gut für die Menschen“ bedeute oft auch „gut für die Natur“, da beispielweise eine verbesserte Rohstoffnutzung durch Kreislaufführung auch soziale Vorteile durch eine geringere Verwendung kritischer Rohstoffe beinhaltet. Insgesamt erfordert mehr Nachhaltigkeit auch mehr Transparenz, welche oft im Widerspruch zu wirtschaftlichen Zielen steht, und daher sehr gut ausbalanciert werden muss, um den gewünschten Effekt zu haben. An vielen Beispielen wurde jedoch klar, dass die Transparenz noch nicht hinreichend gegeben ist. Könnten sich etwa Rechenzentren in Deutschland durch hervorragende Energie- und Ressourceneffizienz gegenüber internationalen Wettbewerbern abheben, wäre dies ein Alleinstellungsmerkmal für Kunden, die Wert auf Nachhaltigkeit legen. Dafür fehlen jedoch vergleichbare und verbindliche Bilanzierungsmethoden.

In der Elektronikherstellung ist es ähnlich. Die global verteilten Wertschöpfungsketten sind derzeit nicht darauf ausgelegt, Ressourcen- und Energieverbräuche entlang der Lieferkette vollständig zu erfassen. Frau Rüther stellte heraus, dass die Forschung hier ansetzen muss, indem bereits in Forschungsvorhaben das Bewusstsein für kritische Materialien, die Notwendigkeit von Energieeffizienzsteigerungen und Methoden für eine belastbare Ökobilanzierung vermittelt werden. Der wissenschaftliche Nachwuchs müsse erkennen, dass Entwicklung von IKT gleichbedeutend ist mit einem Engagement für eine nachhaltige Zukunft.

KOMPENTENZZENTRUM GREEN -ICT@FMD

Viele dieser Prinzipien werden im „Kompetenzzentrum für eine ressourcenbewusste Informations- und Kommunikationstechnologie“ (GreenICT@FMD) adressiert, das von Herrn Dr. Nissen (Fraunhofer IZM) in einem Impulsvortrag vorgestellt wurde. In dem BMBF-Vorhaben adressiert die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD) in drei Hubs die Fokusthemen „Sensor-Edge-Cloud-Systeme“, „Kommunikationstechnik“ und „Grüne Produktion in der Halbleiterfertigung“ und unterstützt die Bildung von Netzwerken. Interessierte Unternehmen haben die Möglichkeit, sich in User-Groups und Validierungsprojekten einzubringen. Forschungsprojekte können sich zur Ökobilanzierung beraten lassen. Für KMU und Start-ups steht ein eigenes Modul zur Verfügung, um kleinere Projekte bei der FMD umsetzen zu lassen. Für eine zukunftsfähige Aus- und Weiterbildung von Fach- und Nachwuchskräften wird ein Kursangebot entwickelt (online/offline), ein Studierendencamp umgesetzt und ein Studienpreis ausgelobt. Zudem wird eine Spiele-App entwickelt, und eine niederschwellige Webseite stellt wichtige Erkenntnisse zu nachhaltiger Elektronik übersichtlich zusammen.

FORSCHUNGSINITIATIVE GREEN ICT - FORSCHUNGSFELDER FÜR MEHR KLIMASCHUTZ

Der Nachmittag stand im Zeichen aktueller Forschungsprojekte der Initiative Green ICT, die das BMBF mit insgesamt rund 167 Millionen Euro fördert. In den Vorhaben werden unter Beteiligung führender deutscher Forschungseinrichtungen und Unternehmen die Weichen in der IKT für mehr Klimaschutz durch Energieeffizienz und Nachhaltigkeit by Design gestellt. Die Projektpitches zeigten die große Bandbreite der BMBF-Initiative Green ICT auf: Die Siegerprojekte aus den Innovationswettbewerben zu „energieeffizienten KI-Systemen“ und „Green-ICT“ befinden sich in der Umsetzungsphase mit der Industrie. Weitere Themen umfassten nachhaltige Hard- und Software, effiziente Datenverarbeitung vor Ort, nachhaltiges Supercomputing (Green-HPC), ressourceneffiziente Kommunikation (5G & 6G) sowie verschiedene Aspekte nachhaltiger Produktion und Kreislaufführung.

Zum Abschluss der Veranstaltung nutzten die Teilnehmenden ein digitales Networking-Event zum weiteren regen Austausch.

RÜCKMELDUNGEN AUS DER FACHCOMMUNITY

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurde eine Umfrage gestartet, welche Forschungsthemen für die Weiterentwicklung von Green ICT besonders relevant sind. Aufgrund der frühen und guten Beteiligung konnte bei der Veranstaltung ein erstes Zwischenergebnis zu vielversprechenden Potenzialen vorgestellt werden. Nach Abschluss der Umfrage erfolgt nun eine detailliertere Auswertung. Die Ergebnisse fließen in die Weiterentwicklung der Green ICT Initiative ein.

Weitere Informationen