Am 27. und 28. November fand im Harnack-Haus Berlin die Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“ statt.
Rund 250 Teilnehmende aus Politik, Forschung und Wirtschaft verschafften sich im Rahmen von Impulsvorträgen, Diskussion sowie interaktiven Formaten einen Überblick über aktuelle Forschungs- und Entwicklungsthemen im Bereich des autonomen Fahrens. Wie in den vergangenen Jahren war die Veranstaltung bereits nach wenigen Tagen ausgebucht.
Die AVF-Tagung fällt in die Zeit eines radikalen Strukturwandels der deutschen Automobilindustrie, welcher insbesondere durch die Elektrifizierung des Antriebsstrangs und die Digitalisierung getrieben ist. Etablierte Unternehmen geraten durch die Aktivitäten und Angebote der internationalen Konkurrenz zunehmend unter Druck. Außerdem verschärft sich der globale Standortwettbewerb aufgrund massiver teilweise staatlicher Investitionsprogramme, insbesondere in China und den USA. In dieser Situation wird das automatisierte und vernetzte Fahren (AVF) voraussichtlich einen immer größeren Anteil an der Wertschöpfung eines Fahrzeugs ausmachen. Deutschland ist beim automatisierten und vernetzten Fahren im globalen Wettbewerb aktuell gut aufgestellt. Dies gilt insbesondere für das hochautomatisierte Fahren (Level-3-Systeme). Allerdings sind weitere Anstrengungen erforderlich, um diese Position langfristig halten zu können.
Prof. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) sah in seiner Keynote noch Potenzial im Ausbau von Kooperationen. Die Entwicklungen seien mit enormen Kosten im Milliardenbereich verbunden, die nur gemeinsam gestemmt werden könnten. Tragfähige Geschäftsmodelle mit ausgeprägtem Kundennutzen seien zudem unerlässlich, müssten für den anvisierten Markt entwickelt und Erfahrungen gesammelt werden.
Auch in den Fachworkshops wurde klar, dass die Zusammenarbeit der Fachcommunity intensiviert werden müsse, um gemeinsam an Weiterentwicklungen und Standards zu arbeiten, die allen einen verlässlichen Rahmen böten. Standards seien unter anderem wichtig, um höchsten Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden. Einen Beitrag liefert dabei u.a. das Leuchtturmprojekt CeCaS für eine zentrale Rechenplattform im Fahrzeug. In CeCaS arbeiten 29 Partner an der Erforschung und Entwicklung von innovativen Ansätzen zu leistungsfähigen Rechenarchitekturen und wollen langfristig Grundlagen für die Standardisierung von Rechenarchitekturen eines Zentralrechners in Fahrzeug schaffen.
In Podiumsdiskussionen und Fachsessions wurden verschiedene Themenkomplexe debattiert. Wesentliche Inhalte waren:
Prof. Lutz Eckstein von der RWTH Aachen erläuterte, dass Open Source Ansätze stärker in den Mittelpunkt gerückt werden müssten, da hier große Potenziale für agile Automobiltechnologien lägen. In den späteren Fachsessions wurde nochmal deutlich, dass es nicht eine einzige Lösung für alle Anwendungsfälle geben könne. Vielmehr solle ein flexibler Ansatz verfolgt werden, der die Möglichkeit zur Differenzierung böte. Open Source Technologien würden daher die Entwicklungen deutlich beschleunigen, da viele Forschende gemeinsam an Lösungen arbeiten könnten. Dies adressiert auch das europäische Fördervorhaben HAL4SDV für eine gemeinsame europäische Plattform für das Software Defined Vehicle (SDV).
Mark Holzäpfel von der CARIAD SE fügte in seiner Keynote hinzu, dass die Absicherung der Systeme dabei eine hohe Priorität haben müsse. Aufgrund der vielschichtigen Umgebungen für autonome Fahrzeuge sei diese Aufgabe sehr komplex.
Zum anderen wurde diskutiert, welche Rolle der Öffentliche Nahverkehr und autonom fahrende Shuttleservices im Gegensatz zu automatisierten Individualfahrzeugen einnehmen. Henrik Falk von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) sieht in autonomen Fahrzeugen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) die Chance, die Mobilitätswende neu zu denken. Prof. Lutz Eckstein ist der Auffassung, dass autonomes Fahren der Schlüssel für die ländliche Anbindung ist und Dr. Heinrich Gotzig von VALEO S.A. ergänzt, dass alte oder körperlich eingeschränkte Personen so deutlich mobiler würden.
Etliche Beitragende vertraten die Auffassung, dass der Schwerpunkt daher nicht ausschließlich auf Privatfahrzeugen, sondern auf der Entwicklung einer Strategie für Städte und Gemeinden liegen sollte, um die Mobilität für alle voranzutreiben.
Die rechtliche Lage für das nächste Automatisierungslevel ist in Deutschland bereits geklärt. Am 4.12.2024 hat die Bundesregierung zudem eine Strategie zum autonomen Fahren verabschiedet, die einen Schwerpunkt auf den öffentlichen Nahverkehr legt.
Prof. Stefan Bratzel appelliert an Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Regierung gleichermaßen. Die Politik müsse sich klar zum Ausbau autonomer Fahrzeuge bekennen und den Weg ebnen. Gleichzeitig müssten Wissenschaft und Wirtschaft flexibler agieren. Wenn man am internationalen Markt bestehen wolle, müssten die in Deutschland recht hohen Kosten für ein Produkt auch einem sehr hohen Innovationsgrad entsprechen.
Insgesamt gaben sich die Teilnehmenden optimistisch, dass sich der Fortschritt zum automatisierten und vernetzten Fahren in Deutschland und Europa jenseits der Robotaxis positiv entwickelt. Dazu müssten die Aktivitäten intensiviert und die Kompetenzen in Europa gebündelt werden, um den globalen Anschluss nicht zu verlieren.
Die nächste Fachtagung „Forschung und Technologie für autonomes Fahren“ am 2.-3.12.2025 befindet sich derzeit schon in der Planung. Veranstaltungshinweise und Einladungen werden wieder rechtzeitig verschickt.
Hier finden Sie das Programm der zweitägigen Tagung.